Wenn du den amerikanischen Wahlkampf verfolgst, bist du bestimmt schon über das Wort «Weird» gestolpert. Und vielleicht auch etwas erleichtert gewesen: Stimmt. Trump ist seltsam, seine Wähler*innen sind seltsam und vermutlich sind es die AFD und deren Wähler*innen auch… Nur sie? Du nicht? Ein paar Gedanken zu uns: W(estern) E(ducated) I(ndustrialized) R(ich) D(emocratic)
Wir sind W.E.I.R.D.
Neulich las ich ein Interview mit Khaled Hakami, der sich mit den Maniq, einer Jäger und Sammler Gemeinschaft im Süden von Thailand auseinandergesetzt hat. Spannend an solchen Artikeln ist, dass sie aufzeigen, dass das, was wir als Norm betrachten, als alternativlos und zwingend, nur eine Variante von unendlich vielen ist. Und ich bin in dem Artikel auch über das Wort «Weird» gestolpert. Ein Akronym für: W(western) E(ducated) I(ndustrialized) (R)ich (D)emocratic. Der Begriff wurde vom Anthropologen Joseph Henrich geprägt und besagt, dass die Art zu leben, die wir hier im sogenannten Westen, als gegeben und erstrebenswert für Alle erachten, nichts weiter als eine Möglichkeit unter vielen ist und erst noch eine relativ junge. Eine individualistisch geprägte auf das eigene Wohlergehen getrimmte, ziel- und entwicklungsorientierte Lebensweise ist demnach kein normatives Wertekonstrukt, sondern primär eine kulturelle Prägung, die dann zur Norm erklärt wird. Optimieren, Achtsamkeit, Reflexion, Bildung als Selbstzweck, der «gesunde» Egoismus, darauf achten nicht zu kurz zu kommen sind demnach alles Folgen von gesellschaftlichen Erfordernissen und somit nicht zwingend.
Zurück in die Natur?
Die edlen Wilden! Wir – die verdorbenen!?! Hakami erläutert sehr anschaulich, dass wir nicht einfach zurück in die Natur können (ob wir dies wirklich wollten, ist dann noch eine andere Frage). Wir haben uns Kultur- und Überlebenstechniken angeeignet, die uns ein Leben wie es die Maniq in Südthailand leben, sehr schwierig machen würden (und auch umgekehrt). Aber das ist nicht der Punkt. Zwei Gedanken scheinen mir relevant:
- Ebenso wie Organismen passen sich Kulturen Erfordernissen an und es überleben die Kulturelemente, die sich als erfolgreich erweisen.
- Wir sind viel stärker von unseren kulturellen Annahmen geprägt, als wir ahnen. Und selbst wenn dem nicht so wäre, hilft der Gedanke, weil wir so den Mut haben Dinge anzupacken, die verändert werden müssen.
«Einsicht dringt meist nicht bis zum Verhalten vor, weil das Verhalten nicht auf Einsicht beruht.»
New Work = WEIRD?
Letztendlich sind New Work, Holacracy und all die Elemente, die aktuell diskutiert werden, Anpassungsstrategien an eine sich verändernde Arbeitswelt. Möglichkeiten und Varianten, die sich nun bewähren müssen und vielleicht werden einige einmal so selbstverständlich sein, wie das Konzept der Arbeits- und Freizeit.
Ich, den Baum umarmend: Lasst uns mal tief durchatmen und uns bewusst machen: es geht uns gut. Viel besser als sich das unsere Ururgrosseltern erträumen liessen. Nicht immer auf individueller Ebene aber ganz bestimmt als Gesellschaft. Und jetzt: Von was brauchst du mehr? Und wieviel davon? Und was sollte eigentlich ganz anders sein?
Illustration: Laura von Känel
Zitat: Harald Welzer (2014): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. S. 53